Es gibt im Popgeschäft eine Regel, die heißt: Verdirb es dir nicht mit denen, die dich mögen! Im Klartext: Wer durch die MTV-Wunschsendung Total Request Live schon einen enormen Beliebtheitsgrad bescheinigt bekommt, sollte sicherheitshalber an seinem Erfolgsrezept festhalten und an dem Sound, mit dem er seine Brötchen verdient, höchstens noch kleine Veränderungen vornehmen. So gesehen hat Pink für ihren Mut wirklich größten Respekt verdient.
Das Repertoire der in Philadelphia aufgewachsenen Sängerin bestand bisher aus eingängigen, frechen Pop-R&B-Hits wie "There You Go" oder dem Remake von "Lady Marmalade", doch dieser Sound gehört -- wie auch die charakteristische Haartracht in Bonbonrosa -- der Vergangenheit an. An seine Stelle ist kräftigerer Alternative-Rock getreten, durchmischt mit etwas ruhigem Blues und kombiniert mit gefühlvollen Texten. Letztere wirken zwar manchmal wie Tagebucheinträge (beispielsweise das mäßig geistreiche Wortspiel "Your Pain Is Painful" in "Family Portrait"), geben aber dafür offensichtlich Pinks eigene Gedanken wieder und sind ihr nicht etwa in den Mund gelegt worden. Pink hat eine Alanis Morissette in sich entdeckt und wird in ihrem neuen Metier unterstützt von Dallas Austin, der die druckvolle Rocknummer "18 Wheeler" produzierte, und Linda Perry, die früher zu den 4 Non Blondes gehörte und mit Pinks Hilfe nun wieder aus der Versenkung auftaucht, in der sie nach dem ersten und einzigen Hit der Band verschwunden war. Was dieses gewagte Album hörenswert macht, ist das Zusammenwirken von stampfenden Beats ("Get the Party Started"), unverkrampft offenherzigen Texten, Pinks starkem Gesang und der Ernsthaftigkeit, mit der sie ihre Sache durchzieht.